Doch man erlebt nicht nur schöne Sachen in San Francisco. Die Leute sind nicht immer freundlich. Die Kriminalität ist höher, als wir vermutet hatten. Wir wohnen die meiste Zeit auf der Market Street. Hier wimmelt es von Bettlern. Manchmal sind sie richtig einfallsreich. Einer spricht morgens die vorbeilaufenden Leute mit einem lauten „Gooood Morning!“ an, lächelt freundlich verschmitzt und hält dann seinen „Wechselgeldbecher“ hin. Zuweilen sind die Bettler jedoch recht penetrant. Man wird sie dann erst durch ein energisches Wort wieder los.
Am ersten Abend übernachten wir in einem Backpacker mit unfähigem Personal und schäbigen Zimmern. In unserem Zimmer stinkt es regelrecht. Als wir am nächsten Morgen zeitig aufstehen, liegt in einem Bett ein stinkendes, stark behaartes Individuum, das offenbar seit Wochen kein Wasser mehr gesehen hat. Der Herr hält im Schlaf seine Beine angewinkelt und leicht gespreizt. Ungeniert lässt er einen langen, lauten Furz fahren.
Das ist für uns endgültig das Zeichen zum Aufbruch. Wir verlassen das Etablissement so schnell es geht. In unserem neuen Hostel ist das Zimmer noch nicht fertig gereinigt. Deshalb setzen wir uns in ein Café und frühstücken gemütlich.
Wahrscheinlich genau zu dieser Zeit wird in unser Auto eingebrochen. Wir bemerken das erst einige Stunden später. Ich spiele Go, als Annett mit blassem Gesicht ins Spiel-Lokal kommt und mich mit leicht hoffnungsloser Miene fragt: „Du, sag mal, wo hast’n die Rucksäcke hingetan?“ Sicher vermutet sie schon, dass ich sie nicht mal eben in der Hosentasche habe. Ich ahne, was das bedeutet, und gewinne noch schnell mein Spiel durch einen Snap Back.
Dann gehen wir zum Auto und schauen uns die Bescherung an. Tatsächlich! Beide Rucksäcke wurden gestohlen. All die großen und kleinen Sachen, die wir über Wochen akribisch zusammengestellt hatten – einfach fort! Glücklicherweise haben wir unsere Gepäckaufstellung noch. Wir gehen sie durch und freuen uns über jedes Teil, das noch da ist. Doch vieles, was anderen Leuten kaum von Nutzen ist, fehlt: die belichteten Diafilme, Annetts Kontaktlinsen, meine Brille, die gesamten Medikamente, mein kleines Magnet-Go-Spiel, die Kosmetiktasche, mein Rasierapparat, ein Haartrockner, Socken, Pullover … Immerhin sind uns solch wichtige Sachen wie Zelt, Schlafsäcke, Schuhe, Kocher, Wetterjacken, Dokumente und die Fotoausrüstung geblieben.
Wir erstellen – auf Englisch und Deutsch – eine Liste aller gestohlenen Gegenstände und fügen noch einige hinzu. Hinter die Stücke schreiben wir deren geschätzte Wiederbeschaffungskosten in Dollar und ihren Anschaffungswert in DM. Es ist uns ein Schaden von etwa 3000 DM entstanden und wir hoffen, von der Versicherung einen Großteil ersetzt zu bekommen.
Zum Glück haben wir nach langem Zögern am Tag vor unserer Abreise aus Deutschland noch eine Reisegepäckversicherung abgeschlossen. Dass wir sie so frühzeitig in Anspruch nehmen müssen, ist allerdings nicht so toll.
Wir suchen eine Polizei-Dienststelle auf. Hier hilft man uns bereitwillig und ohne Zögern. Die nächsten Tage rennen wir viel durch die Gegend, vergleichen Preise und kaufen neue Sachen. So richtig warme Klamotten gibt es hier nicht. Aber noch ist ja schließlich Sommer.
Charlie braucht mal wieder einen neuen Reifen. Hier, in San Francisco, müssen wir den bisher höchsten Preis für einen gebrauchten Reifen bezahlen – 32 Dollar und werden zudem noch sehr unfreundlich bedient. Unser Problem mit dem Mutual Safety Switch können wir besser lösen. Nach einigen vergeblichen Anläufen finden wir eine Werkstatt, die uns helfen kann. Der Chef schließt die entscheidenden Kontakte einfach dauerhaft kurz. Anschließend plaudert er mit uns über Deutschland und das schwierige Leben in San Francisco. Er lebte lange Zeit in Deutschland und hatte auch dort eine Autofirma. Für seine Arbeit verlangt er nicht einmal Geld. Ein netter Mensch.
Durch den Diebstahl verlieren wir viel Zeit. Wir telefonieren mit der Versicherung, schreiben E-Mails, laufen durch Geschäfte, bestellen aus Deutschland neue Rucksäcke und andere Sachen. Glücklicherweise kommen Anja und Martin ja bald. Wenn ich in einem Satz schreibe, dass wir neue Sachen bestellen, so braucht es dafür real einen Tag.
Die meisten Bibliotheken in den USA (und auch in Kanada) bieten als Service einen kostenlosen Internetzugang, allerdings zeitlich begrenzt. In San Francisco schreibt man sich in eine Liste ein und wartet, bis man an der Reihe ist. Dann kann man für 15 Minuten das Internet nutzen. Anschließend beginnt die Prozedur von Neuem.
Auch das Organisieren von Übernachtungen stellt sich mitunter als schwierig dar. Alle einigermaßen preiswerten Unterkünfte sind über Wochen ausgebucht. Übrig bleiben sehr teure oder eben DER Rest, wie z.B. unsere Zimmer auf der Market Street.
Sein Fenster liegt unmittelbar neben der Etagentoilette. Wir werden somit Zeuge von allerlei nervigen Geräuschen und zwar rund um die Uhr. Dafür bezahlen wir nun 40 Dollar pro Nacht.
Ein weiteres spannendes Kapitel ist die Sache mit Charlies Fahrzeugbrief, den wir immer noch nicht haben. Wir telefonieren mehrfach mit Jim’s at the Beach, dem Hostel in L.A., dessen Adresse wir beim Department of Motorvehicles (DMV) bei der Zulassung angegeben hatten. Oft haben wir nur Gäste oder unwissendes Personal an der Strippe. Irgendwann hat Annett das Glück, mit dem Inhaber selbst zu sprechen. Der kann uns angeblich auch nicht helfen und bittet um eine E-Mail, in der wir das Problem beschreiben sollen. Wir telefonieren mit dem DMV, um uns über den Vorgang zu informieren. Der Fahrzeugbrief wäre abgeschickt worden und sei auch nicht zurück gekommen. Zur Zeit haben wir einfach keine Ahnung, wie wir an den Fahrzeugbrief herankommen können. Mal sehen, ob Anja und Martin eine Idee haben.