USA / Welt

Folge 2 Die große Reise beginnt

Nun sind wir schon den dritten Tag unterwegs und es gibt so viel zu berichten, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Die letzten Tage waren voller Erlebnisse. Wenn mir vor der Abreise jemand erzählt hätte, was in den ersten Reisetagen passiert, so hätte ich ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt. Doch der Reihe nach.

Zunächst ein kleiner Rückblick

Die letzten Wochen vor unserer Abreise waren enorm anstrengend. Jetzt scheinen sie jedoch ganz weit weg zu sein. Ein Abschied jagte den nächsten, genauso wie ein gut gemeinter Ratschlag den anderen. Und dann das Packen. Auf der einen Seite will man die Sache cool angehen und nur das Allernötigste mitnehmen, auf der anderen Seite ist im Hinterkopf dieses eine Jahr, dieser abgeschnittene Rückweg und die Sorge, doch nicht richtig loslassen zu können. Welche Versicherung ist wirklich notwendig? Welches Buch muss gelesen werden? Welches muss in den Rucksack? Am letzten Tag vor der Abreise meinte ein reiseerfahrener Freund:

Wartet nur ab – je länger eure Reise dauert, umso unwichtiger wird das alles. Der Rucksack wird von Woche zu Woche leichter und ein Ding nach dem anderen unwichtig.“

ein unbekannter erfahrener Reisefreund

Nun ja – ich bin zumindest offen für all die Dinge, die da endlich passieren sollen – für die Stille und die hektische fremdländische Betriebsamkeit um uns.

Wir nehmen Abschied und bekommen einige Ratschläge

Die einen wünschten respektvoll viel Glück, andere ließen sogar eine Träne rollen und manche schienen sich neidisch Gedanken über unseren Kontostand zu machen. Für die Eltern war es sicher am schwierigsten. Nach den Nachwende-Erfahrungen hat eine gewisse Lebensplanung eine große Bedeutung für sie. Ich kam auf die Welt, als meine Eltern Anfang 20 waren. Nun bin ich Anfang 30, habe gerade mal 5 Jahre Arbeit hinter mir und behaupte, ich sei ausgepowert. Da muss man schon den Kopf schütteln.

Annetts Vater holte zum Abschied einen Zollstock heraus und zeigte uns, wie lang 70 cm sind. Alles was danach kommt, ist eine Zugabe. „ Ihr seid jetzt hier!“, seine vor Aufregung ein wenig zitternden Hände zeigten auf die 30. Er markierte den verbleibenden Bereich und ermahnte uns, sorgsam damit umzugehen. „Unser Leben besteht nicht nur aus Internet, E-Mails und sonstigem technokratischen Zeug, sondern in erster Linie aus Gefühlen.“ Mir gab er auf den Weg, dass ich sein Freund bleibe, wenn ich seine Tochter wohlauf wieder mit nach Hause bringe. Wir sollten uns nicht davor scheuen, die Reise abzubrechen, falls irgendetwas Ausschlaggebendes passiere.

Nun geht’s los! Ankunft in Los Angeles

Die letzten Nächte packten, hefteten und ordneten wir meist bis 3 oder 4 Uhr morgens. Wir bauten einen Ordner mit allen wichtigen Kopien von Dokumenten und mit Anweisungen, wie mit den Sachen zu verfahren sei, die demnächst per Post eintrudeln würden. Tja, und dann kam endlich die Abreise.

Am 01. August 2000 um 3 Uhr morgens schalten wir das Licht in unserer Wohnung aus, setzen uns in einen Mietwagen und fahren nach Berlin. Der nachfolgende Tag beschert uns 25 Stunden Helligkeit. Wir fliegen mit der Sonne. Nach einem Zwischenstopp in London geht es direkt nach Los Angeles. Wir haben herrliche Sicht. Am beeindruckendsten ist die Hudson Bay – Ist das Treibeis? – und der Missouri, der auch aus 10.000m Höhe noch immer mächtig aussieht. L.A. begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein und 27 °Celsius.

Unser Startroute durch die Staaten und Kanada

Wir fahren mit dem Bus nach Santa Monica, staunen nicht schlecht über die Preise und steigen schließlich – nach einem gescheiterten Versuch in einem Youth Hostel und einigen verkrampften Telefonaten in einer Studenten -WG-ähnlichen Absteige ab – für 38 harte US-Dollar (für einen Dollar mussten wir in dieser Zeit ca. 2,35DM = 1,17€ hinlegen). Dafür bekommen wir zwei Plätze in einem Schlafsaal, der natürlich nach Männchen und Weibchen getrennt ist. Wir werfen noch schnell einen Blick auf den Pazifik und fallen gegen 21 Uhr bei Jim’s at the Beach in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen schauen wir uns um. Unsere Absteige ist wirklich der Hit! Überall stehen dubiose Sofas herum. Hund und Katze gehören ebenso zum Inventar. Gut, dass die Fenster nicht geputzt und mit speckigen Gardinen verhängt sind. So kann man wenigstens den Dreck nicht so genau sehen. Den ausführlichen Bericht über die sanitären Einrichtungen spare ich mir. Nur so viel, die Dusche besteht aus einem Rohr, das aus der Wand kommt.

Kurt – der bayerische Säufer verhilft uns zur ersten großen Entscheidung

Schon am Vorabend war ich auf einen Deutschen aufmerksam geworden. Kurt hat lange, blonde, lockige oder besser zottelige Haare. Er säuft und grölt mit Einheimischen herum. Seit 14 Jahren lebt er in Amerika, seit 8 Monaten in dieser Absteige: Als ihn in München seine Frau, eine Schauspielerin, verließ, ging nach seinen Worten etwas in seinem Kopf kaputt. Er betrank sich nur noch und hing in der Gegend rum. Regelmäßiges Arbeiten und auf ´ne dicke Rente sparen seien ihm sowieso fremd. Er beschloss „rüberzugehen“. Hier hatte er ab und zu ´ne Firma, besaß zeitweise 12 Autos. Momentan schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs (Fußbodenlegerei) durch. Ende Oktober will er über den Winter nach Hawaii gehen. Dort sei das Wetter besser als in L.A. Das nötige Kleingeld muss aber noch verdient werden. Das will er mit drei Jobs gleichzeitig schaffen. Wenn er das 30 Tage durchhält, kämen 9000 Dollar zusammen. Das würde dann wieder für ´ne Weile reichen. Aber erst müsse er noch ins Krankenhaus. Sein Meniskus sei kaputt. Bezahlen soll das die Stadt. Die will er verklagen, denn er sei über ein Verkehrsschild gefallen. Doch jetzt trinke er erst mal ein Bier.

Für unser Problem – wir wollen ein Auto kaufen –hätte er auch schon eine Idee. Er kenne einen Finnen. Der will für 1000 Dollar seinen Van verkaufen und zurück nach Finnland gehen. Er spiele immer abends an der Beach Music. Wir gehen mit Kurt in die Kneipe. Dort ist gerade Happy Hour. Wir wollen unseren Augen nicht trauen: neben Heineken, bayrischem Weißbier und Pilsner Urquell gibt es tatsächlich Köstritzer blackbeer. Der Finne lässt sich leider nicht blicken. Aber wir haben noch ein paar Eisen im Feuer. Im Hostel gibt es einige Telefonnummern. Wir besorgen uns  den Outlook und den Recycler. Mit diesen Zeitschriften kann man ganz gute Preisvergleiche machen. Unter 1000 Dollar gibt es allerdings kaum etwas.

Charlie tritt in unser Leben

Das heißeste Gefährt ist ein 72er Cadillac Coupé De Ville mit 5,7 l Hubraum. Der gehört einem Franzosen, der gegenüber sein Hostel betreibt. Er preist lang und breit die Vorteile des Wagens, zeigt all die neuen Teile, die eingebaut sind und fährt ein wenig mit uns herum.

Da ist er – der Traum vom alten Ami-Schlitten. 1200 bucks soll er kosten. Aber was, wenn er nicht die nächsten drei Monate durchhält? Die folgende Nacht kann ich kaum schlafen. Schließlich ist unser Geldbeutel nicht so dick gefüllt. Der große Vorteil des Autos ist sein üppiger Platz – immerhin sind wir bald zu viert. Nachteile sind der hohe Benzinverbrauch und die schlechten Chancen beim Wiederverkauf. Beim Köstritzer blackbeer besprechen Annett, Kurt und ich die einzelnen Aspekte. Außerdem werfe ich im Kopf eine Münze.

Wir tauften ihn Charlie

Bei Sonnenuntergang kommen hier doch tatsächlich Leute aus ihren Häusern und bejubeln das flammende Schauspiel, wenn der Feuerball hinter den nahegelegenen Santa Monica Mountains versinkt. Am nächsten Morgen gehen Annett und ich zum Franzosen und machen den Deal perfekt. Für drei Monate Versicherung zahlen wir stolze 335 Dollar. Die Registration Procedure schlägt auch noch einmal mit 74 Dollar zu Buche. Zehn Dollar gehen an Kurt, der uns wirklich eine Hilfe war. Alles in allem ist der Spaß nicht gerade billig, aber irgendwie wäre die Sache sonst nicht stilecht gewesen. Nun kann er beginnen, der American Way of Life.

Wir sind in Santa Monica, tragen bei stechender kalifornischer Sonne dunkle Sonnenbrillen und basecaps und dröhnen mit unserem Caddy über den Highway in Richtung Malibu. Dort buchen wir zwei Tage auf einem campground. Unser Zelt steht auf einem Hang mit direktem Blick auf den Pazifik. Abends zähle ich zeitweise zehn Flugzeuge gleichzeitig am sternenklaren Himmel.

Am nächsten Tag machen wir nichts. Wir denken an zu Hause und an die vielen Erlebnisse unserer ersten drei Reisetage.

Baujahr 1972, 5,7l Hubraum, säuft wie ein Großer 🙂
Route USA – Teil 1

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