Revelstoke entstand vor etwas mehr als 100 Jahren als die Eisenbahn gebaut wurde. Die Stadt profitierte vom Goldrausch in Alaska. Einen großen Aufschwung erlebte man hier durch den Bau eines riesigen Staudamms im Jahre 1978. Das sehenswerte Museum zu diesem Thema schauen wir uns am nächsten Tag an.
Heute stehen „Verwaltungsarbeiten“ auf dem Programm. Wir kaufen ein, waschen Wäsche und beantworten e-Mails. Danach setzen wir uns auf eine Parkbank und genießen das schöne Wetter bei Kaffee und Tee. Dass wir nebenbei unsere feuchte Wäsche auf einer Wiese trocknen, erregt zum Glück kein Aufsehen.
Am Abend suchen wir einen Campingplatz. Der erste hat keine Duschen, das ist heute ein Ausschlusskriterium. So landen wir wieder einmal auf einem KOA-Platz. Er wird durch ein deutsches Ehepaar geleitet. Nachts wird es das erste Mal auf unserer Reise richtig kalt. Als wir morgens aufstehen, zeigt das Thermometer gerade noch 2 Grad. Als erstes wird da natürlich Feuer gemacht. Nach so einer Nacht ist eine heiße Dusche ein starkes Motiv, um aus dem Schlafsack zu kriechen.
Wir besuchen das erwähnte Museum. Wie jedes nordamerikanische Museum ist auch dieses mit viel Liebe zum Detail und allerlei technischen Mitteln ausgestaltet. In einem Film beschreibt man ausführlich den Prozess der Stromerzeugung. Man geht auch auf Alternativen zur Wasserkraft ein. Interessanterweise verzichtet man dabei völlig auf die Atomkraft. Lehrreich ist auch die Dokumentation über den Bau des Revelstoke-Dammes. Fast jeder zweite im Ort war in irgendeiner Art und Weise daran beteiligt. Nicht zuletzt deshalb stieg die Einwohnerzahl in dieser Zeit von 6.000 auf 10.000.
Die vielleicht schönste Tageswanderung auf dieser Reise
Im Vistor Center erkundigen wir uns nach Hostels in der Gegend und bekommen eine Empfehlung für das Whiskey Jack Hostel 13 Kilometer abseits vom Highway 1. Es liegt in einem Tal. Unweit des Hostels stürzt das Wasser eines Flusses eine steile Felswand hinab, bevor es seinen Lauf durch dichten Nadelwald fortsetzt. Pомантический! Das Hostel verfügt über drei Zimmer mit je drei 3er-Betten. Ich schlafe ganz oben – das erste Mal in einem Tripelstockbett. Alles ist sehr sauber. Wir genießen die Wärme in den Zimmern.
Der Tag begrüßt uns mit strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und Windstille! Ideale Bedingungen zum Wandern. Wir gehen den Iceline Trail. Der Weg führt steil den Berg hinauf. Schnell legen wir alle unnötigen Sachen ab. Nach 400 Höhenmetern erreichen wir die Iceline. Nun wandern wir entlang des ewigen Eises. Die Hochgebirgslandschaft ist grandios. Wir passieren kleine, türkisfarbene Bergseen und eindrucksvolle Wasserfälle. Über weite Geröllfelder öffnet sich der Blick bis hin zu den in der Ferne liegenden Gipfeln der Hauptkette der kanadischen Rockies. Wir machen oft Pause – und genießen. Genießen die frische, kühle Luft, den Sonnenschein auf unserer Haut, die Weite des Blicks, die sich irgendwie auf unsere Seelen überträgt. Später notiere ich diese Wanderung als schönste Tageswanderung in die Liste der Superlative dieser Reise.
Tags darauf machen wir uns auf den Weg zum Emerald Lake. Der Trail ist anstrengender als der am Vortag. Wir wandern über 24 km und überwinden einen Höhenunterschied von 900 Metern. Besonders der Rückweg verlangt uns einiges ab. Wir schnaufen den steilen Berg hinauf. Dicke Schweißperlen bilden sich auf der Haut. Jeder versucht, sich die Anstrengung nicht anmerken zu lassen. Die Natur entschädigt uns für die Mühen.
Am Ufer des Lake Yoho rasten wir. Vögel umflattern uns, angelockt durch unsere Verpflegung. Ein besonders mutiger frisst sogar Brot aus der Hand. Allerdings ist er so schnell, dass wir viele Versuche benötigen, bis ein Foto gelingt. Später erfahren wir, dass dieser freche Vogel dem Hostel seinen Namen gab – Whiskey Jack. Der Emerald Lake ist zwar ebenfalls sehr schön gelegen, aber leider auch per Bus erreichbar. Touristenbusse im 20-Minutentakt versauen das Erlebnis. Wir lernen im Hostel eine Belgierin kennen, die ganz allein auf Weltreise ist und sich mit Jobs auf Farmen über Wasser hält. Wir unterhalten uns angeregt. Sie kann uns viele nützliche Tipps geben.
Am Abend bringe ich Anja Backgammon bei. Ich kündige ihr an, dass sie im ersten Spiel wahrscheinlich keine Chance haben wird und – verliere. So ist das eben mit den Naturtalenten.